Kann zuwenig Arbeit krank machen?

Vor kurzem erklärte mir ein Klient, es gehe ihm nicht gut. Er habe Magenschmerzen und fühle sich gestresst, obwohl er seit einigen Monaten in der Arbeit fast überhaupt nichts zu tun habe…- Bingo. Da war sie schon die Antwort. Aber kann zu wenig Arbeit wirklich krank machen? Wenn viele über Arbeitsüberlastung, Hektik und Stress klagen, sollte sich mein Klient dann nicht glücklich schätzen eine Zeitlang weniger zu tun zu haben?

 

Wirklich paradox: In Zeiten von Burn-out und Fachkräftemangel höre ich nun immer häufiger auch gegenteilige Klagen – „ich habe derzeit (fast) nichts zu tun“.

 

Ich erinnere mich an eine Zeit, wo ich selbst mal in solch einer ähnlichen Lage war. Glücklicherweise waren es damals nur 2 Monate, obwohl – länger hätte ich es vermutlich auch nicht ausgehalten. Es war furchtbar!

 

Es gibt nicht wenig Menschen, die es gewohnt sind, hinzulangen. Die etwas bewegen wollen und einen Sinn in ihrer Arbeit suchen. Arbeit nur der Arbeit willen? Nein! Es muss Sinn machen, ein Ziel soll erreicht werden. Dafür geben diese Menschen sehr viel, sie fahren oft über einen langen Zeitraum Vollgas und gehen ganz in ihrer Arbeit auf. Ist das Projekt dann beendet oder das Ziel erreicht, dann heißt es: kurz – oder ein wenig länger – durchschnaufen, regenerieren und dann auf zur nächsten Aufgabe, die erledigt werden muss. Aber wehe die Pause dauert zu lange. Für manchen schwer zu glauben, – aber zu wenig Arbeit kann ernsthaft krank machen. Und nicht nur psychisch, sondern auch verbunden mit einer körperlichen Symptomatik. Der Fachbegriff dafür ist Bore-out.

 

Was also tun wenn es ruhiger wird, das Arbeitsgebiet schrumpft und die Nachfolgearbeiten auf sich warten lassen? Gleich Alarm schlagen? Und wild nach neuen Aufgaben suchen?
Ich meine: Nein. Lehnen Sie sich erst mal zurück. Genießen Sie das Erfolgserlebnis des gelungenen Abschlusses so richtig. Lassen Sie es sich gut gehen. Sie haben es sich verdient!

Und dann geht’s erstmal an die Durchführung der Nacharbeiten, inklusive der meistens nicht so geliebten Ablage. Parallel dazu können Sie sich langsam umhören. Vergessen Sie aber Ihre aktive Seite nicht. Was können Sie selbst tun? Lang aufgeschobene Verwaltungsarbeiten nachholen, sich endlich mal durch den Stapel an Fachliteratur lesen, eine Zeitlang mal im Schongang arbeiten…

 

Doch die innere Unruhe steigt unerbittlich. Was könnte ich als nächstes tun? Und so beginnen sie langsam innerlich zu verkrampfen, auf der Suche nach einer neuen sinnvollen Beschäftigung. Der Frust wächst. Der Erfolg fehlt.

Zeit, die einfach abgesessen werden muss, stresst. Ich habe mich schon oft gefragt wie Verkäufer in einem wenig frequentieren Ladengeschäft diesen Zustand aushalten. Warten. Langeweile. „Ich muss“ – das ist ein gewaltiger Unterschied zu „ich darf mir die Freiheit nehmen“.

Die freien Zeitfenster wachsen in solch einem Zustand und nehmen immer mehr Raum ein. Das kann bedrücken. Und vielleicht beginne ich ja dann den Druck zu mindern und diese „unnütze“ Zeit mit privaten Tätigkeiten zu füllen, – die Zeit ist ja da.

 

Aber damit vermischen sich Privatleben und Berufsleben, denn eigentlich bin ich ja in der Arbeit. Ich könnte mir ja irgendeine Aufgabe suchen, umräumen, neu ordnen, mit Kollegen reden…. Das schlechte Gewissen schwingt unterschwellig ständig mit. Ein Spagat,  – nicht Fisch, nicht Fleisch. Das Seltsame daran ist, wenn ich dann zwischendrin mal eine sinnvolle Aufgabe bekomme, ist die Versuchung groß diese zu „strecken“, damit ich möglichst lange beschäftigt bin. Damit handle ich aber gegen mein Naturell, – und das stresst innerlich wieder. Manchmal werden auch ganze Arbeitspakete „verschoben“, ein Kollege hat Zeit und soll den anderen unterstützen. Temporär meist vollkommen in Ordnung und bei verwandten und in etwa gleichwertigen Tätigkeiten ideal. Aber auf Dauer? Und meistens sind die übertragenen Aufgaben auch ganz anders. Entsprechen nicht unserer Ausbildung, interessieren uns vielleicht auch gar nicht wirklich. Wir sind dann auch nur „Beiwerk“, es ist oft nicht unser Gebiet, in dem wir richtig gut sind. Und in dieser Arbeit aufgehen, können wir sowieso nicht.

 

Es gibt viele Berufe wo die Wartezeiten einen erheblichen Anteil der Arbeitszeit ausmachen. Von jeher. Wärter, Pförtner, Sicherheitsleute. Mein Standardbild ist das der Wachen von der Palastgarde mit den Bärenmützen vor dem Buckingham Palace. Wie gehen diese Menschen damit um? Haben die denn damit überhaupt kein Problem?

Vielleicht einfach nur andere Persönlichkeiten. Aber kann man das lernen? Wenn wir uns wieder den „Machern“ zuwenden. Den Menschen, die verändern wollen. Die den Sinn in einer Tätigkeit, in einer Aufgabe, einem Projekt suchen. Die das Erfolgserlebnis der beendeten Aufgabe brauchen, der Zielerreichung. Wie der Läufer, der sein Ziel erreichen will.

 

Wenn wir keine solche Herausforderung haben, dann bauen wir ab. Wir verlieren unseren Mut, unser Selbstbewusstsein leidet. Wir werden nicht gebraucht. Wir werden nicht gefordert. Wir fühlen uns nutzlos. Was können wir tun?

 

Zunächst mal darüber sprechen. Reden entlastet. Wir dürfen uns diesen Zustand eingestehen und auch die Tatsache, dass er uns stresst. Machen Sie sich das paradoxe der Situation bewusst! Eines der zugrunde liegenden Probleme ist häufig der Sinn unserer Tätigkeit, der hier fehlt  bzw. die in unseren Augen sinnlose Anwesenheit. Vielleicht hat mein Vorgesetzter dies noch gar nicht bemerkt? Aber habe ich das Vertrauen mit ihm darüber zu sprechen? Machen Sie sich selbst erstmal darüber Gedanken und stellen sich die Frage wie Sie Ihr Bedürfnis nach diesem Sinn in Ihrem derzeitigen Umfeld stillen können. Vielleicht passt das Umfeld nicht mehr – da schau ich doch gleich mal was ich selbst verändern kann und was nicht. Bin ich da am richtigen Platz? Die zentrale Frage ist immer: Was kann ICH ändern und was nicht? Wo sind meine Grenzen? Der Blick von außen auf „mein persönliches System“ ist dafür essentiell. Grenzen können verschoben werden und überschritten – aber manchmal sind sie auch unverrückbar. Das zu erkennen und zu bearbeiten, – dafür gibt es Hilfestellung von Experten, erlernbare Techniken und Gespräche mit professionellen Beratern und Coaches.

 

 

Also: erkennen und den Mut haben etwas zu ändern. Raus aus dem Phlegma – und Handeln.